Arbeitsgruppe Prof. Dr. R. Friedrich
Gemäss dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik streben
abgeschlossene Systeme einem Zustand maximaler
mikroskopischer Unordnung zu. Makroskopisch gesehen sind
diese Endzustände zeitunabhängig sowie räumlich homogen.
Ein einfaches Beispiel ist eine Flüssigkeitsschicht in einem
Behälter: Eine anfängliche Bewegung klingt im Lauf der Zeit
ab.
Ganz anders verhalten sich offene Systeme, die durch einen Fluss von Energie, Materie oder auch Information gekennzeichnet sind. Wird die Flüssigkeitsschicht von unten erhitzt und von oben gekühlt, sind ab einer bestimmten Temperaturdifferenz Konvektionszellen zu beobachten. Es entsteht eine räumliche Struktur, die nicht von aussen aufgeprägt wird, sich also spontan selbst organisiert. Wird der Wärmedurchfluss durch das System erhöht, treten weitere Strömungsmuster auf, die sich zudem zeitlich verändern können. Für sehr hohe Temperaturdifferenzen setzt schliesslich Turbulenz ein. Hier sind die Strömungsfelder nicht nur durch eine komplexe zeitliche Dynamik sondern zusätzlich durch irreguläre räumliche Strukturen auf unterschiedlichen Längenskalen charakterisiert. Obwohl berühmte Wissenschaftler wie z.B. Onsager, Heisenberg oder Kolmogorov wichtige, für die moderne Naturwissenschaft richtungsweisende Beiträge zur Theorie der Turbulenz geleistet haben, bleiben die Eigenschaften turbulenter Strömungen nach wie vor rätselhaft.
Selbstorganisationsprozesse findet man nicht nur bei hydrodynamischen Systemen, sie sind ebenfalls charakteristisch für optische oder chemische Systeme. Strukturbildungsphänomene sind deshalb von grosser Bedeutung für industrielle Anwendungen. Von besonderem Interesse sind Systeme der belebten Natur. Sie sind als offene Systeme nicht den Zwängen des Zweiten Hauptsatzes unterworfen und können zeitliche, raumzeitliche sowie funktionelle Strukturen bilden. Besonders zu erwähnen sind biologische Rhythmen.
Eine überraschende Eigenschaft strukturbildender Systeme ist die Existenz universeller Gesetzmässigkeiten: Strukturbildungsprozesse in den unterschiedlichsten Systemen laufen nach einheitlichen Regeln und Mechanismen ab. Sie können daher durch eine einheitliche Theorie beschrieben werden.
Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Strukturbildung umfassen folgende Themenbereiche:
Theorie der Strukturbildung
Es werden theoretische Methoden zur Behandlung von
Strukturbildungsprozessen entwickelt mit
dem Ziel, universelle Gesetzmässigkeiten der
Selbstorganisation für Systeme fern vom
Gleichgewicht zu formulieren. Zur Anwendung kommen Methoden der
Bifurkationstheorie, der Chaostheorie sowie der
Statistik und Stochastik.
Nonlinear Science and Engineering
Es wird zunehmend deutlich, dass auch in ingenieurswissenschaftlichen
Fragestellungen Strukturbildungsprozesse insbesondere im Hinblick
auf ihre Kontrolle eine wichtige Rolle spielen.
Zu erwähnen sind hier etwa die Kontrolle der Strukturbildung
bei technischen Produktionsverfahren
oder die Ausnützung von Strukturbildung
bei Mischungsprozessen.
Theorie der Turbulenz
Das Fehlen eines grundlegenden Verständnisses turbulenter
Vorgänge erschwert die
Lösung wichtiger ingenieurwissenschaftlicher
Problemstellungen wie
z.B. Mischungsprobleme, Verbrennungsprobleme.
Gegenstand aktueller Forschungsaktivitäten sind die statistischen
Eigenschaften turbulenter Felder und deren Ableitung aus
den Grundgleichungen der Hydrodynamik.
Analyse komplexer Systeme
Ein Verständnis komplexer Systeme beruht auf einer geeigneten
Analyse von Messsignalen. Da komplexe Systeme durch ein
Wechselspiel von nichtlinearem Verhalten und stochastischen
Fluktuationen gekennzeichnet sind, müssen geeignete
Analyseverfahren entwickelt werden. Diese Analyseverfahren
werden zur Zeit auf ihre Anwendbarkeit z.B. auf medizinische
Daten (Gehirnstromdaten, Signale des menschlichen Tremors etc.)
getestet.